Mittwoch, 9. Juli 2014

Kundenbetreuung

Schon beim Betreten des Treppenhauses, weiß er, dass sich hier nicht alles zum Besseren geändert hat. Er  bahnt sich seinen Weg auf der Treppe durch allerlei Schutt und Kleinkram. Dabei vermeidet er das Geländer zu berühren, da es auch, wie der ganze Rest hier, von einer Staubschicht bedeckt ist. 2. Stock. Er schaut auf das Klingelschild, als ob er sich nicht sicher wäre, dass er hier noch wohnt. Natürlich ist er nicht umgezogen, wohin denn auch. Er klingelt. Schaut noch einmal an sich herab um sicher zu gehen, dass er wirklich sauber oben angekommen ist. Keine Reaktion. Er klingelt erneut. Immer noch nichts. Er räuspert sich hörbar und beginnt gegen die Holztür zu klopfen. Energisch, aber mit dem Versuch noch höflich zu bleiben. Dann hört er ein Rumpeln, anscheinend bewegt sich da doch noch was. "Bin gleich da" klingt durch die Tür. Mit einer energischen Bewegung wird sie aufgerissen und da steht er nun. Sein Haar wild und ungekämmt, der Bart darunter fleckenhaft, weniger voll, aber auch wildgewachsen. Seine braunen Augen wirken, obwohl sie gerade weit aufgerissen sind, von einer nebelhaftigen Müdigkeit belegt. Er trägt ein T-Shirt, dass faltig und fleckig ist. Anscheinend war darauf mal eine Comicfigur abgebildet, aber schon zu viele Teile sind ausgewaschen. Seine Jeans hängt ein wenig, der Gürtel baumelt lose daran. "Habe ich sie geweckt?" "Ähmm.. nicht direkt...also wach war ich schon... bin nur noch nicht dazugekommen, aufzustehen." Der Gast schaut auf die Uhr. 16:36.

"Wir waren verabredet, kann ich reinkommen?" "Selbstverständlich" Der Mann geht mit dem Gast den Flur entlang. Beim Gehen erhascht er einen Blick auf sein Zimmer. Würde er es nicht besser wissen, er würde davon ausgehen, bei einem Messi zu Gast zu sein. Der Boden ist mit Verpackungen und Klamotten verpackt, das Bett noch kaum erkennbar, die Fenster verhangen, nur in der einen Ecke strahlt das Licht des Laptops. Doch hier findet das Gespräch nicht statt. Er wird in die Küche geführt. Die ist sogar überraschend sauber. Weil sie kaum in Benutzung ist. In der Spüle stehen ein paar Gläser. Und Staub. Überall dieser verdammte Staub. Er bekommt einen Sitzplatz angeboten. "Möchten sie was Trinken? Ich hätte Wasser.."
"Danke, nein. Bevor zu ihrer Forderung kommen, würde gern mit ihnen noch einmal ihren aktuellen Stand durchgehen. Nur damit wir auch wirklich die richtigen Angaben haben. Sind sie damit einverstanden?"
 "... okay, eigentlich hatte ich gehofft, dass schnell über die.."
"Aktuelles Alter?"
"24"
"Aktuelle Beschäftigung"
"....Student"
"Welches Studienfach?"
"Medienkultur"
"Master?"
"Bachelor" Der junge Mann sinkt langsam in seinen Stuhl, sein Blick konzentriert sich auf das Wasserglas vor ihm.
"Sie sind damit also im... 8. Semester. Korrekt?"
"Genau... ganz ehrlich ich verstehe nicht, wieso wir das alles durchgehen müssen, wenn ich doch eh nur kündigen möchte"
"Herr S. Ich bin mir dessen im Klaren, dass der Grund dieses Gesprächs in dem Wunsch ihrer Kündigung liegt, aber ich vertrete hier ein Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gemacht ihren Klienten einen Service anzubieten, der direkt auf die Wünsche und Gegebenheiten des Individuums zugeschnitten ist."

"Aber.."
"Nebenverdienste?"
"Ich habe als einen Job als Aushilfe."
"Sind sie damit zufrieden?"
"Wie meinen sie das? Von der Bezahlung her? Die Atmosphäre?"
"Beantworten sie einfach die Fragen"
Er schüttelt kurz seinen Kopf, will schon wieder für eine weitere Frage ansetzen, doch er erkennt, dass er es nur so in die Länge ziehen würde. Er will die Sache hinter sich bringen.
"Die Bezahlung reicht zum Leben, ich quäle mich nicht dorthin, aber am Ende des Tages ist es stumpfe Arbeit."
"Wann werden sie ihr Studium beenden?"
Erneuter Blick auf das Wasserglas. Seine Hände umschließen das Glas, er versucht einen Fleck wegzukratzen, der gar nicht da ist.
"Ich weiß es nicht. Es sieht gerade nicht danach aus, dass es bald passieren wird. Ich scheine meinen Antrieb verloren zu haben, irgendwo auf dem Weg... ich.. entschuldigen sie. Ich kann ihnen keine klare Antwort geben"
Der Mann im Anzug sieht nicht auf, er schreibt weiter in seine Formulare.
"Haben sie sich schon überlegt ihre Karrierepläne in eine andere Richtung zu lenken, in einen eher praktischen Bereich"
"Ja, habe ich"
Es wird klar, dass er nun extra mechanisch antwortet. Das Treffen verläuft nicht so, wie er sich das vorgestellt hat.
"Und?"
"Ich bin jetzt seit 4 Jahren hier und so kurz vor dem Ziel. Es sind die letzten Schritte, dann kann ich dieses Kapitel abschließen"
"Was sie aber immer noch nicht geschafft haben."
Der Mann schaut immer noch nicht von seinem Formular auf.
"Was fällt ihnen eigentlich ein! Ich habe sie nicht hierher bestellt, um mich einer psychoanalytischen Untersuchung zu unterziehen! Ich möchte den Vertrag auflösen, das kann doch nicht so schwer sein!" Herr S. ist von sich selbst überrascht, er ist lauter geworden als er eigentlich wollte. Er kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal seine Stimme so erhoben hat.
Der Mann blickt auf, er rückt seine Brille zurecht und schaut ihn wieder direkt an.
"Herr S. ich bitte sie erneut um Geduld. Wir sind gleich mit der Befragung durch."
Der junge Mann sackt zurück in seinen Stuhl, fassungslos aufgrund seines Verhaltens und des seines Gegenübers.
"Herr S. sind sie glücklich?"

Die Männer schauen sich einen Moment stumm an. Dann beginnt S an zu lachen. Es ist kein ausgelassenes Lachen, es klingt zynisch und schwer, als ob er es über die Zeit verlernt hätte.
"Glauben sie wirklich ich hätte sie hierher bestellt, wenn ich glücklich wäre? Sehen sie mich an. Ich bin Mitte Zwanzig und stehe immer noch dort, wo ich mit Anfang Zwanzig stand. Ich trete auf der Stelle und das obwohl es nicht einmal die schönste Stelle ist. Das Interesse an meinem Studium hat sich verlaufen, obwohl ich dummerweise noch nicht einmal damit fertig bin. Die erste Frage, die mir in meiner Heimatstadt gestellt wird, ist wie lange ich denn noch studieren muss. Kein Tag beginnt vor 11 Uhr, da mir davor anscheinend jegliche Motivation fehlt. Meine Eltern geben sich geduldig, aber ich kann die Enttäuschung und Besorgnis in ihren Augen sehen. Meine Freunde, es verwundert mich selbst, dass es noch solche Leute in meinem Leben gibt, sprechen das Thema entweder gar nicht mehr an, oder versuchen mich erfolglos zu motivieren. Allgemein sind die Gespräche mit Freunden sehr einseitig. Entweder ich habe nichts Neues aus meinem Leben zu erzählen, oder ich möchte nichts erzählen. Weil es mir alles so sinnlos erscheint, weil mir selbst der Spaß an Smalltalk vergangen ist. Die einzigen romantischen Gedanken verschwende ich an Frauen, die schon längst aus meinem Leben getreten sind. Ich sehe wie andere Leute um mich herum in ähnliche Lagen geraten wie ich, aber es von selbst aus schaffen, alles wieder in den Griff zu bekommen. Ich schaffe es nicht einmal in diesen falschen glücklichen Zustand des Betrinkens zu flüchten. Selbst dafür fehlt mir der Antrieb, verstehen sie es nun. Ich will nicht mehr, weil mich selbst nicht ertragen kann."

Der Gutachter hat während dieses ganzen Monologs still den Blick des jungen Mann ertragen. Nun widmet er sich wieder seinem Formular. S. ist plötzlich unfassbar müde. Das was er sagte war nicht befreiend, es fühlt sich eher so an, als ob er den Schlamm in sich aufgewühlt hätte und nun wieder alles trüber erscheint.
Der Mann blättert erneut in seinen Unterlagen.
"Gut. Vielen Dank für ihre Bereitschaft. Leider muss ich ihnen mitteilen, dass ihre derzeitigen Umstände keinen ausreichenden Grund liefern den Vertrag zu unserer Institution aufzulösen. Wir verstehen, dass sie aktuell Probleme haben und ihnen ihre Lage missfällt, aber..."
"Ernsthaft! Das alles hier nur um mir dann meine einzige Bitte zu verwähren?! Ich verstehe das nicht. Ich kann doch wohl selbst entscheiden, wenn etwas ausreicht um diesen Vertrag aufzulösen."
"Herr S. verstehen sie doch bitte, die Verträge unserer Kunden sind auf höchst komplexe und vielfältige Weise miteinander verbunden. Die Auflösung eines Kundenkontos zieht eine unfassbar aufwendige Veränderung aller verbundenen Konten mit sich. Und auch wenn sie vielleicht gerade nicht den Eindruck haben, auch ihr Konto ist mit anderen verwoben. Vorzeitige Vertragsauflösungen werden in den seltensten Fällen genehmigt."
"Und wenn ich einfach aussteige..."
"Herr S. ich bitte sie, die Folgen sie sind..."
"Gehen sie jetzt, ich denke wir sind fertig hier."
"Herr S. ich sehe mich gezwungen, sie erneut daran zu erinnern, dass ein Vertragsbruch nicht von Kundenseite ausgeführt werden sollte. Unser System... es ist..."
"Gehen sie."
Der Mann schaut ein letztes Mal auf seinen Kunden. Das verwaschene T-Shirt. Der fleckige Bart. Der Blick leer und das Gesicht erstarrt. Dann richtet er sich auf, verstaut die Unterlagen in der Aktentasche und verlässt die Wohnung. S hört wie die Wohnungstür ins Schloss fällt. Er bleibt eine Weile sitzen, konzentriert sich auf das Geräusch seines Atems. Dann richtet er sich auf, stellt sein Wasserglas in die Spüle. Auf den Weg zu seinem Zimmer kommt er am Spiegel im Flur vorbei. Er sieht sich an, streicht über sein Kinn und spürt die Stoppeln. Dann dreht er sich um und geht ins Bad. Hinter sich lässt er die Tür ins Schloss fallen.

2 Kommentare:

Matti hat gesagt…

Mensch... Was ist denn hier los?! Einerseits freu ich mich, dass du hier wieder schreibst. Anderseits... ich brauch dir nicht sagen, dass ich mir sorgen mache.
Hoffe, wir sehen uns mal bald wieder!!!

The Best Brand Store hat gesagt…

Hi,very nice!